Osteopathie bei Endometriose
Ein ganzheitlicher Ansatz zur Linderung von Schmerzen und Beschwerden

Osteopathie: Eine ganzheitliche manuelle Therapie
Osteopathie ist eine manuelle Therapieform, deren Fokus auf der Beweglichkeit und Funktion aller Strukturen des menschlichen Körpers liegt. Dabei berücksichtigt die Osteopathie, dass Skelett, Muskeln, Nerven und Organe in enger Wechselbeziehung stehen. Diese Verbindungen sind nicht nur mechanischer Natur – wie etwa über Bänder, Faszien und Gelenke – sondern auch neurologisch (Nervenbahnen, Signalleitungen) und vaskulär (Blut- und Lymphgefäße) geprägt. Der Kerngedanke: Gerät eines dieser Systeme aus dem Gleichgewicht, kann das Auswirkungen auf den gesamten Körper haben. Eine osteopathische Behandlung soll Blockaden lösen, Spannungen reduzieren und die Selbstheilungskräfte des Organismus anregen. Hier setzt die Osteopathie bei Endometriose an, um körperliche Dysfunktionen, die die Schmerzen und Beschwerden verstärken, zu lindern.
Typische Symptome:
- Starke, krampfartige Menstruationsschmerzen (Dysmenorrhoe)
- Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie)
- Zyklische Bauch- und Rückenschmerzen – auch unabhängig von der Blutung
- Beschwerden beim Wasserlassen oder Stuhlgang
- Mitunter unerfüllter Kinderwunsch (bei 30–50 % der Betroffenen)
Endometriose und osteomyofasziale Dysfunktionen
Werden Gewebe außerhalb der Gebärmutter regelmäßig gereizt und entzündet, kann dies im Körper zu einer Vielzahl von sekundären Dysfunktionen führen. Insbesondere Bänder, Faszien und Muskeln im Bereich des Beckens oder des unteren Rückens sind durch die Endometriose-Herde und die damit verbundenen Entzündungsprozesse betroffen.
Sie können sich das wie ein großes Spinnennetz aus elastischen Fäden vorstellen. Bei gesunden Verhältnissen kann sich dieses Netz problemlos bewegen. Wenn Sie sich bewegen oder atmen, bleiben Ihre Organe flexibel und passen sich an Bewegungen oder Druckveränderungen an.
Kommt es durch Endometriose jedoch zu wiederkehrenden Entzündungen und Reizungen, werden einige Fäden dieses Netzes „verkürzt“ oder „verklebt“. Dadurch entstehen Spannungen, die sich auf benachbarte Bereiche übertragen können. Nach und nach können so Muskeln, Bänder und Faszien (die Stütz- und Haltestrukturen der Organe) ihre natürliche Elastizität verlieren. Das führt zu einer Art dauerhaften Anspannung (Hypertonie) im Becken oder zu Steifheit in den Geweben, sodass die Organe und Gelenke nicht mehr frei beweglich sind.
- Becken-Perineale Hypertonien
Hierbei handelt es sich um eine Art Daueranspannung der Muskeln im Beckenbereich. Diese hypertonen Muskeln können zu einem Gefühl von Beckenschwere und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen. Auch ein permanenter Druck im Unterbauch ist möglich.
Das Gewebe ist so stark gespannt, dass es unter Dauerlast steht und schon bei kleinen Bewegungen schmerzhaft reagieren kann – ähnlich einer straff gespannten Gitarrensaite, die bei jeder Berührung vibriert. - Veränderte viskoelastische Eigenschaften des Bindegewebes
Die Befestigungs- und Stützsysteme der Organe, die diese an ihrer Position halten, können durch die Entzündungen und Verwachsungen „steifer“ werden. Wenn ihre Dehnbarkeit verloren geht, leiden nicht nur die betroffenen Organe selbst, sondern oft auch umliegende Strukturen wie etwa Wirbelgelenke.
Vergleichen lässt sich das mit Gummibändern, die zunehmend porös werden: Zunächst dehnen sie sich noch, doch mit jeder weiteren Belastung werden sie steifer, reißen leichter oder ziehen an umliegenden Bereichen. Das beeinträchtigt den ganzen Bewegungsablauf. - Ausstrahlungseffekte
Abhängig vom betroffenen Organ können verschiedene Symptome auftreten. So kann eine Verklebung am Dickdarm letztlich Rückenschmerzen auslösen, weil andere Strukturen im Körper versuchen, die Spannung auszugleichen.
Diese lokalen Veränderungen haben nicht selten Auswirkungen auf das Skelettsystem und können beispielsweise Schmerzen im Lendenwirbelbereich, im Kreuzbein oder Steißbein auslösen. Auch chronische Ischiasschmerzen, die durch eine ständige Reizung des Ischiasnervs im Beckenbereich entstehen, sind möglich.
Osteopathische Behandlung: Ziele und Vorgehen
Eine osteopathische Behandlung verfolgt das Ziel, die Beweglichkeit von Gelenken und Organen wiederherzustellen sowie Spannungen in Muskeln und Faszien zu reduzieren. Bei Endometriose bedeutet das in erster Linie, jene Strukturen zu behandeln, die durch die chronischen Entzündungen und Verwachsungen beeinträchtigt wurden oder durch den Schmerz kompensatorische Verspannungen aufgebaut haben.
Ablauf einer Sitzung
- Anamnese
Zu Beginn einer osteopathischen Sitzung steht ein ausführliches Gespräch (Anamnese). Dabei werden die gynäkologische Vorgeschichte und alle relevanten Befunde erfasst. Wichtig ist auch eine genaue Beschreibung der Schmerzverläufe: Wann treten die Schmerzen auf? Sind sie zyklusabhängig? Gibt es verstärkende oder lindernde Faktoren? - Klinische Untersuchung
Anschließend tastet der oder die Osteopath den Körper nach Bewegungseinschränkungen, muskulären Verspannungen oder Verquellungen im Gewebe ab. Dabei wird besonders auf den Beckenbereich, aber auch auf angrenzende Regionen wie den unteren Rücken oder das Zwerchfell geachtet. - Gynäkologische Untersuchung
Eine gynäkologische Untersuchung des kleinen Beckens kann Bestandteil der osteopathischen Diagnostik sein. Diese sollte ausschließlich von entsprechend qualifizierten Therapeuten durchgeführt werden. - Behandlungsplan und Techniken
Abhängig von den Befunden erstellt der Osteopath oder die Osteopathin einen individuellen Behandlungsplan. Mögliche Techniken umfassen viszerale Manipulationen (Behandlung der inneren Organe), myofasziale Techniken (Lösen von Verklebungen, Spannung im Bindegewebe) und sanfte Mobilisationen oder Manipulationen im Bereich der Gelenke.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine osteopathische Behandlung?
Die Osteopathie kann Betroffene in unterschiedlichen Phasen der Endometriose unterstützen:
- Oberflächliche Endometriose ohne chirurgische Indikation
Wenn keine Operation geplant ist oder medizinisch notwendig erscheint, kann eine osteopathische Behandlung helfen, hartnäckige Schmerzen zu lindern, die trotz Hormontherapie bestehen bleiben. - Präoperativ
Vor einer geplanten Operation kann die osteopathische Behandlung sinnvoll sein, um das Gewebe zu lockern und den lokalen Spannungszustand zu verbessern. Dadurch kann sich der Heilungsverlauf nach dem Eingriff positiv beeinflussen lassen. - Postoperativ (ab etwa drei Monaten nach dem Eingriff)
Nach einer Operation können Narben im Gewebe zu weiteren Bewegungseinschränkungen und Schmerzen führen. Eine osteopathische Behandlung ist dann sinnvoll, um Verhärtungen in den Narben zu lösen und die Mobilität des viszeralen und muskuloskelettalen Systems wiederherzustellen.
Chancen und Grenzen der osteopathischen Therapie
Osteopathie kann viel zur Linderung von Schmerzen beitragen und die allgemeine Beweglichkeit verbessern. Allerdings ersetzt sie keine schulmedizinische Abklärung und Therapie. Gerade bei ausgeprägten Endometrioseherden oder schwerwiegenden Organbeteiligungen (z. B. Darmendometriose mit starker Blutung) ist eine Operation oft unvermeidlich. Schmerzmedikation und Hormontherapie können gleichzeitig notwendig sein, um die Ausbreitung der Endometriose zu verlangsamen und Beschwerden zu reduzieren.
Wichtige Grundsätze:
- Die Osteopathie sollte immer in Absprache mit Fachärzten (Gynäkologie) erfolgen.
- Bei intensiven Schmerzen oder Komplikationen (z. B. Verdacht auf Zysten) ist eine ärztliche Vorstellung unumgänglich.
- Eine ganzheitliche Therapie kann unterschiedliche Bausteine umfassen (Ernährungsberatung, Physiotherapie, psychologische Unterstützung).
Was Betroffene selbst tun können
Neben der osteopathischen Behandlung und der ärztlichen Therapie können einige einfache Maßnahmen helfen, Beschwerden im Alltag zu reduzieren:
- Entspannungsübungen und Yoga: Sanfte Dehn- und Atemübungen können Verspannungen im Beckenbereich entgegenwirken.
- Wärme: Wärmflaschen oder warme Bäder entspannen die Muskulatur und steigern das Wohlbefinden.
- Bewegung: Moderate Sportarten wie Schwimmen oder Spazierengehen fördern die Durchblutung und wirken stressreduzierend.
- Ernährung: Eine entzündungshemmende Ernährungsweise mit viel Obst, Gemüse, Ballaststoffen und Omega-3-Fettsäuren kann positiv auf den Körper wirken.
- Stressmanagement: Psychische Belastungen beeinflussen das Schmerzempfinden. Entspannungsverfahren oder Beratung können helfen, den Teufelskreis aus Schmerz und Stress zu durchbrechen.
Fazit
Gerade weil Endometriose ein „Chamäleon“ unter den gynäkologischen Erkrankungen ist, lohnt sich ein individueller, umfassender Therapieansatz. Gemeinsam mit Ärzten, Physiotherapeuten, Psychologen und weiteren Fachkräften kann die Osteopathie dafür sorgen, dass Betroffene den Alltag wieder aktiver und schmerzfreier gestalten können. Auch wenn keine Wunderheilung zu erwarten ist, zeigt die Erfahrung, dass eine ganzheitliche Versorgung maßgeblich zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen kann.
Sascha Bade
Osteopath