Gesundheit

Osteopathie

Teil 2 – Die osteopathische Behandlung

In Teil 1 haben wir Ihnen die Grundlagen der Osteopathie nähergebracht. Nun wollen wir Ihnen darstellen, wie eine professionelle osteopathische Behandlung durchgeführt wird. In Kürze zusammengefasst noch mal der Grundgedanke der Osteopathie.

Das Selbstverständnis vom Menschen als eine untrennbare Einheit

Der osteopathische Grundgedanke geht von einer holistischen Sichtweise aus. Die jeweils unterschiedlichen Aspekte eines Menschen sind dynamisch zu verstehen. Sie stehen zu jeder Zeit miteinander in Interaktion und bedingen sowie beeinflussen sich gegenseitig. Der Mensch ist eine untrennbare Einheit, deren mögliche Beschwerden und Symptome nicht isoliert gesehen werden. Jede wahrnehmbare Störung an oder im Körper beeinflusst die Balance des gesamten Systems. Ein Schmerz kann sich sehr unterschiedlich äußern in Abhängigkeit von der aktuellen psychischen oder emotionalen Befindlichkeit.

Symptome sind nach diesem Grundverständnis ebenfalls keine einzelnen Probleme, die es zu beseitigen beziehungsweise behandeln gilt. Sie geben lediglich Auskunft über eine Disharmonie beziehungsweise ein bestehendes Ungleichgewicht. Der Osteopath versteht seine Aufgabe darin, zunächst die Ursachen für Symptome zu identifizieren und diese als Ursprung des Beschwerdebildes zu betrachten und behandeln.

Die Fähigkeit des Körpers, sich selbst zu heilen

Das zentrale Verständnis der osteopathischen Philosophie basiert auf der Grundannahme, dass der menschliche Körper hervorragende Fähigkeiten der Selbstheilung hat. Er ist in der Lage, sich von einer großen Anzahl an Krankheiten, Verletzungen, Symptomen und Beschwerdebildern umfassend zu erholen. Dazu ist es hilfreich, den Menschen als ein ganzheitliches Wesen im Sinne einer integrierten Einheit zu verstehen. In dieser Einheit sind alle Systeme miteinander verbunden. Eine umsichtige osteopathische Behandlung basiert aus diesem Grund darauf, dieses Zusammenspiel zu berücksichtigen, um so nachhaltig wie möglich das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Damit Selbstheilungsprozesse in Gang gesetzt werden können, ist es hilfreich, Blockaden im Körper festzustellen und aufzulösen. Hier können unterschiedliche manuelle Techniken bei den jeweiligen Muskeln und Gelenken sowie dem Gewebe die nötigen Voraussetzungen schaffen. Es geht nicht allein um das akute Lindern von Schmerzen, sondern immer auch um eine Verbesserung der Durchblutung und der Körperfunktionen. Je besser und stimmiger die Unterstützungsmethoden sind, desto optimaler sind die Bedingungen für eine Aktivierung der Selbstheilungskräfte.

„An jedem Knochen hängt ein ganzer Mensch“

Die Aussage gibt das Herzstück der Osteopathie wieder, die grundlegend integrative Auffassung, nach der kein Organ, kein Gelenk, kein Muskel und kein Knochen für sich alleine stehen, sondern immer im Bezug auf das komplexe menschliche System zu sehen sind. Ist ein Bereich gestört, betrifft dies den ganzen Körper. Wohlbefinden und Gesundheit basieren nie nur auf der Funktionalität eines einzelnen Körperteils, sondern immer auf dem Menschen, der mit diesem in Verbindung steht.

So kann etwa eine Blockade im Bereich des Rückens auch die Funktion anderer Regionen des Körpers, selbst innerer Organe, betreffen. Eine Behandlung setzt demnach nicht allein am Beseitigen der lokalen Beschwerden an, sondern an der Wiederherstellung des Gleichgewichts, das für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte erforderlich ist.

Die Bedeutung anatomischer Zusammenhänge

Um eine sinnvolle osteopathische Behandlung von Funktionsstörungen oder Blockaden anbieten zu können, ist die genaue Kenntnis der Anatomie unverzichtbar. Die jeweiligen Strukturen des Körpers sind komplex, bauen aufeinander auf und bilden in ihrer Gesamtheit eine Einheit. Die anatomischen Zusammenhänge sind von besonderer Bedeutung, denn Muskeln, Organe, Gelenke und das Nervensystem stehen miteinander in Wechselwirkungen. Jede Behandlungsstrategie eines Patienten basiert auf einer detaillierten und individuellen Analyse. Das Fachwissen zu den anatomischen Gegebenheiten ist relevant, um einerseits die Ursachen von Schmerzen zu verstehen und sie andererseits fachlich korrekt zu behandeln.

Der Ablauf einer professionellen osteopathischen Behandlung

Der Behandlungsablauf ist klar strukturiert und dabei genau auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Zu Beginn steht ein Gespräch, bei dem die Gelegenheit besteht, die Beschwerden und die Vorgeschichte darzulegen. Hier erhält der Therapeut bereits die wichtigsten Anhaltspunkte zur gesundheitlichen Situation. Im weiteren Verlauf werden relevante Informationen zur bisherigen Krankengeschichte (Anamnese) des Patienten erfasst. Sie bieten die Grundlage, um die Ursachen für das Beschwerdebild zu verstehen, und dienen gleichzeitig als Basis für die spätere Behandlung.

Eine manuelle Untersuchung (Screening) ermöglicht es dem Therapeuten, die Beweglichkeit festzustellen und auch eventuelle Spannungen und Blockaden in den verschiedenen Regionen des Körpers einzuschätzen. Erst danach kann der Behandlungsplan erstellt werden, der für jeden Patienten exakt zugeschnitten wird (Befund). Die damit verbundenen osteopathischen Techniken haben das Ziel, die individuellen Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Rückmeldungen sind für den Therapieverlauf äußerst wichtig. Sie machen es möglich, die einzelnen Schritte immer genau an die jeweilige Befindlichkeit anzupassen.

Die Anamnese

Die Anamnese dient dazu, ein detailliertes und vollständiges Bild vom gegenwärtigen gesundheitlichen Zustand eines Menschen zu erhalten. Dazu stellt der Osteopath vielfältige Fragen, die sich auf das bestehende Beschwerdebild, die Symptome und auch potenziell durchlebte Erkrankungen oder auch Operationen beziehen. Diese sogenannte medizinische Vorgeschichte ist ein wichtiger Anhaltspunkt für eine Einschätzung der gesamten gesundheitlichen Realität.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Lebensstil eines Menschen. Dazu zählen etwa die jeweilige Ernährungsweise, das Ausmaß an regelmäßiger Bewegung oder auch die persönlichen Schlafgewohnheiten. All diese Aspekte wirken sich wesentlich auf das allgemeine Wohlbefinden aus und können zur Erklärung von Symptomen begleitend herangezogen werden. Die Anamnese bietet dem Patienten weiterhin die Möglichkeit, eigene Fragen zu stellen oder eventuelle Befürchtungen zum Ausdruck zu bringen. Das Gespräch dient somit auch dem Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung.

Das Screening

Das Screening ist eine systematische körperliche Untersuchung, die dazu gedacht ist, Disbalancen und funktionelle Störungen zu identifizieren. Sie liegen den Beschwerden zugrunde und tragen zu Schmerzen und anderen Symptomen bei. Für ein umsichtiges Screening untersucht der Osteopath den Patienten mit den Händen. Dabei lassen sich Spannungen oder andere Einschränkungen am besten feststellen. Unterschiedliche Techniken ermöglichen eine Untersuchung der Beweglichkeit und eine zuverlässige Analyse der Beschwerden.

Für das Screening ist die unmittelbare Reaktion des Patienten entscheidend. Die manuellen Einwirkungen auf den Körper bieten ein genaues Bild der damit verbundenen Funktionalität. Die körperliche Situation lässt sich anhand der erkennbaren Einschränkungen gut bewerten.

Der Befund

Die Anamnese und das Screening sind die Basis für den Befund. Die primären Beschwerden und Symptome sowie bestehende Einschränkungen geben Auskunft über die Strukturen und Funktionen des Körpers. Die Erhebung dient als Grundlage für eine Hypothese zu den Ursachen der Krankheitssymptome. Die Diagnose berücksichtigt einerseits biomechanische und andererseits physiologische Kriterien.

Der Befund stellt eine Dokumentation der Untersuchungsergebnisse dar. Er dient als Grundlage für die Erstellung eines konkreten Behandlungsplans und wird entsprechend ausführlich mit dem Patienten besprochen. Zielgerichtete osteopathische Techniken werden eingesetzt, um die Funktionalität des Körpers zu unterstützen, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zu minimieren und die Selbstheilungskräfte gezielt zu aktivieren. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Patient lernt, seinen Körper und dessen Reaktion selbst zu verstehen.

Gesundheitsförderung durch manuelle Behandlung

Die Hände sind das wichtigste Werkzeug des Osteopathen. Sie werden nicht nur eingesetzt, um eine konkrete Diagnose zu stellen, sondern sind gerade auch für die eigentliche osteopathische Behandlung wesentlich. Der Therapeut setzt die Hände ein, um den Körper abzutasten und auf diese Weise Fehlstellungen, Blockaden oder auch Verspannungen aufzuspüren. Das Abtasten geschieht mit leichtem Druck, der als Palpation bezeichnet wird und eine eigene Untersuchungstechnik darstellt. Sie erlaubt es, bestehende funktionelle Störungen sowohl im Bereich des Bewegungsapparates als auch an den inneren Organen und dem Nervensystem zu erkennen.

Für das Lösen von Blockaden sind die Hände unerlässlich. Bestimmte Druck- und Zugbewegungen helfen dabei, sie zu lösen, ebenso bestehende Verspannungen. Diese Technik wird auch als Manipulation bezeichnet und dient nicht zuletzt der gesundheitlichen Förderung und der Möglichkeit, die Selbstheilungskräfte des Patienten nachhaltig zu aktivieren.

Multimodale Osteopathie – ein ganzheitlicher Ansatz

Der multimodale osteopathische Ansatz basiert auf einer ganzheitlichen Sichtweise und hat den gesamten Menschen im Blick. Sämtliche therapeutischen Interventionen berücksichtigen die komplexen Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist auf der einen sowie der Umwelt auf der anderen Seite. Daraus resultiert eine Perspektive, die sich nicht allein auf die körperliche Behandlung bezieht. Sie beachtet immer auch die psychosoziale Lebenswirklichkeit eines Menschen sowie die damit verbundenen umweltbedingten Aspekte.

Patienten werden grundsätzlich in den Heilungs- und Behandlungsprozess einbezogen. Sie lernen ein tieferes Verständnis über die Zusammenhänge und Ursachen ihrer Beschwerden und Symptome und werden darin unterstützt, die eigenen regenerativen Fähigkeiten wahrzunehmen und zu nutzen.

Indikationen für eine Behandlung

Das multimodale osteopathische Verfahren eignet sich für eine große Anzahl an Beschwerden. Die häufigsten Behandlungen werden an Menschen mit muskuloskelettalen Beschwerden vorgenommen. Dazu zählen Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule, anhaltende und wiederholte Rückenschmerzen sowie Schmerzen an den Gelenken. Gerade auch für Patienten mit einer chronischen Schmerzsymptomatik und dementsprechend großem Leidensdruck ist die Osteopathie von Vorteil.

Auch Migräne und die große Bandbreite psychosomatischer Beschwerdebilder eignen sich sehr gut für eine Behandlung. Dies betrifft vor allem Beschwerden, bei denen körperliche Symptome in direkter Interaktion mit emotionalen Problemen beziehungsweise Konflikten stehen.

Beschwerdebilder im Bereich der Atmung und des Verdauungssystems sind eine häufige Behandlungsindikation. Gleiches gilt für Stresssymptome und Schlafstörungen. Auch präventiv kann eine Behandlung viel bewirken. Durch die Stärkung des Immunsystems können zahlreiche Beschwerdebilder vorbeugend vermieden werden.

Kontraindikationen für eine Behandlung

Auch bei einer überwiegenden Vielzahl an Behandlungsvorteilen gibt es dennoch einige Kontraindikationen, bei denen das osteopathische Verfahren nicht immer sinnvoll ist. In manchen Fällen können medizinische Diagnosen beziehungsweise Krankheitsbilder bestehen, die ein Ausschlusskriterium darstellen. Das sind primär akute Entzündungsanzeichen, Tumorerkrankungen oder auch neurologische Erkrankungen. Hier ist es sinnvoll, zunächst einen Facharzt zu konsultieren und die medizinische Behandlung in den Vordergrund zu stellen.

Auch bei anderen Gegebenheiten sollte eine Behandlung vorab mit einem Facharzt geklärt werden, beispielsweise bei einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems oder schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Eine Schwangerschaft kann ebenfalls eine Kontraindikation bedeuten, wobei es hier immer auf den Einzelfall und die jeweilige osteopathische Technik ankommt. Risikominimierung steht bei jedem Patienten im Fokus, damit eine Behandlung der Gesundheit zugutekommt und sie nicht zusätzlich einschränkt.

Mögliche Einsatzbereiche der Osteopathie

Die osteopathische Behandlung eignet sich für die Behandlung sehr unterschiedlicher Beschwerden, wobei der Patient immer mitwirkt, seine eigenen Ressourcen wahrzunehmen und für die Gesundung zu nutzen. Schmerzsymptome sind der häufigste Einsatzbereich beim osteopathischen Verfahren. Hier können spezielle Techniken dazu beitragen, die damit meist verbundenen Verspannungen und Blockaden zu lösen. Das kann bei Rückenschmerzen oder Migräne ebenso sein wie bei Sportverletzungen, die aufgrund der Bewegungseinschränkungen zu fortwährenden Verspannungen führen.

Menschen mit Bronchitis und Asthma sprechen zudem sehr gut auf eine Behandlung an. Im Fokus steht dabei eine Entspannung der Atemmuskulatur und die damit verbundene Unterstützung der Lungenfunktion. Wer unter einem Reizdarmsyndrom leidet oder von Verstopfung betroffen ist, wird durch die Anwendung von einer Verbesserung der Organbeweglichkeit profitieren.

Grenzen der Osteopathie

Das osteopathische Verfahren zählt seit Jahren zu den etablierten Therapieformen, von denen zahlreiche Menschen profitieren. Wie jede Fachrichtung gibt es auch hierbei Grenzen, die aufgezeigt werden sollen, um keine unrealistischen Erwartungen hervorzurufen. Prinzipiell stellt das osteopathische Konzept eine unterstützende Ergänzung zu einer schulmedizinischen Behandlung dar. Sie ist kein Ersatz dafür, sondern eine zusätzliche Option auf dem Weg der Gesundung.

Osteopathische Techniken bieten Hilfe und Erleichterung bei Schmerzen des Bewegungsapparates und auch verschiedenen chronischen Beschwerdebildern. Sie stellen ausdrücklich keine Alternative zur Schulmedizin dar, wenn es beispielsweise um Tumorerkrankungen, Infektionen oder sonstige schwere Krankheitsbilder geht. Auch ist der Ausbildungsstand der Therapeuten nicht einheitlich geregelt, sodass eine einheitliche Qualifizierung fehlt, die entscheidend wäre, um allgemeingültigen wissenschaftlichen Standards zu entsprechen.

Schulmedizin versus Naturheilkunde

Die osteopathische Behandlung wird in Deutschland dem Bereich der Komplementärmedizin zugeordnet. Sie gehört nicht zur Schulmedizin und stellt keinen eigenständigen medizinischen Fachbereich dar. Sie hat nicht die Aufgabe, medizinische Therapien zu ersetzen, sondern will sie in unterstützender Funktion ergänzen.

Häufig wird die osteopathische Therapie auch der Alternativmedizin oder der Naturheilkunde zugeordnet. Die Naturheilkunde vertritt die Meinung, dass der Körper in der Lage ist, sich selbst zu heilen, ein Ansatz, der sich auch in der osteopathischen Auffassung findet. Die Alternativmedizin versteht sich jedoch als Anwendung anstelle der Schulmedizin. Dies entspricht nicht dem osteopathischen Selbstverständnis.

Sascha Bade Osteopath D.O.
Heilpraktiker, Autor und Keynote-Speaker