Gesundheit

Osteopathie für Kinder mit ADHS

Einblicke in eine Therapieform, die kleinen Wirbelwinden helfen kann

Wenn Eltern die Diagnose „Ihr Kind hat ADHS“ hören, kann das eine große Erleichterung sein. Endlich gibt es eine Erklärung für die scheinbar endlose Unruhe, den Mangel an Konzentration und die impulsiven Ausbrüche. Gleichzeitig stehen sie jedoch vor einer enormen Herausforderung: Wie kann das Kind unterstützt werden, damit es seine Fähigkeiten ausschöpfen und sich gut entwickeln kann?

ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) ist die häufigste psychische Auffälligkeit im Kindes- und Jugendalter. Etwa fünf Prozent aller Kinder in Deutschland sind betroffen. Die Kernsymptome umfassen Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität. Doch ADHS ist mehr als nur „zappelig und unkonzentriert sein“. Häufig kommen Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen, Probleme beim sozialen Miteinander und eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Kritik hinzu.

In der klassischen ADHS-Behandlung kommen meist Verhaltenstherapien, strukturelle Hilfen in Schule oder Kita und Medikamente wie Methylphenidat zum Einsatz. Dennoch suchen viele Eltern nach weiteren Möglichkeiten, um den Alltag zu erleichtern. Osteopathie kann dabei eine Option sein.

Die Osteopathie betrachtet den Körper als ein vernetztes System aus Knochen, Muskeln, Organen, Faszien und Flüssigkeiten. Gerät einer dieser Bereiche aus dem Gleichgewicht, kann sich das auf andere Teile des Organismus auswirken. Bei ADHS kann eine osteopathische Behandlung helfen, Spannungen abzubauen, die das ohnehin belastete Nervensystem zusätzlich stressen.

ADHS im Kurzdurchlauf – und wieso es mehr ist als „schlechtes Benehmen“

Kinder mit ADHS haben Schwierigkeiten, Reize zu filtern. Ihr Gehirn steht unter Dauerbeschuss: Jeder Eindruck, ob wichtig oder belanglos, dringt ungefiltert ein. Das führt zu Unruhe und Unaufmerksamkeit. Außenstehende sehen oft nur „unartiges“ Verhalten oder vermuten Erziehungsfehler. Doch in Wahrheit steckt eine neurobiologische Funktionsstörung dahinter, bei der vor allem die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin aus dem Takt geraten sind.

Zu den Ursachen können genetische Faktoren, Komplikationen in der Schwangerschaft oder auch Entwicklungsbesonderheiten zählen. ADHS zeigt sich nicht bei jedem Kind gleich: Manche sind eher verträumt, langsam und still (vor allem Mädchen), andere dagegen laut, aufbrausend und ständig in Bewegung. Die Diagnose bedeutet oft eine enorme Entlastung für Eltern, die sich fragen, ob sie etwas falsch gemacht haben. Gleichzeitig bleibt die Frage: Welche konkreten Wege gibt es, um den Alltag zu entschärfen?

Osteopathie als Teil der multimodalen Therapie

Bei ADHS empfiehlt sich meist ein ganzheitlicher, sogenannter „multimodaler“ Therapieansatz. Dazu gehören:

  • Verhaltenstherapeutische Angebote (Einzel- oder Gruppensitzungen)
  • Elterntraining zur Förderung eines strukturierten Tagesablaufs
  • medikamentöse Unterstützung
  • Pädagogische Anpassungen in Schule oder Kita
  • Ernährungsberatung, wenn Lebensmittelunverträglichkeiten bestehen

Osteopathie stellt hierbei zunehmend eine weitere Ergänzung dar. Während Verhaltenstherapie und Pädagogik am Verhalten und den sozialen Rahmenbedingungen ansetzen, kümmert sich die Osteopathie um mögliche körperliche Faktoren, wie Verspannungen, Blockaden, Fehlhaltungen oder Druckungleichgewichte. Wenn das Kind körperlich entspannen kann, ist es oft leichter, Reize zu sortieren und Ruhe zu finden.

Was passiert bei einer osteopathischen Behandlung?

Zunächst führt die Osteopathin oder der Osteopath ein ausführliches Gespräch: Wie verlief Schwangerschaft und Geburt, gab es Entwicklungsverzögerungen, ist das Kind häufig krank oder klagt es über Kopf- oder Bauchschmerzen? Anschließend folgen Untersuchungen, bei denen der gesamte Körper untersucht wird. Sind Muskeln verhärtet? Lassen sich Organe frei bewegen oder gibt es Stellen, an denen etwas „klemmt“?

Bei der eigentlichen Behandlung kommen Behandlungstechniken zum Einsatz, die Gewebe lockern und Mobilität wiederherstellen sollen. Manche Techniken wirken auf die Schädelknochen (Craniale Osteopathie), andere auf Organe (Viszerale Osteopathie) oder das Muskel-Skelett-System (Parietale Osteopathie). Manchmal werden die Kinder während der Sitzung schläfrig oder verlassen die Praxis bereits deutlich entspannter.

Was sagen Erfahrungsberichte und Studien?

Über Osteopathie bei ADHS existieren vor allem Fallberichte und kleinere Studien. Eltern berichten, dass ihre Kinder nach einigen Sitzungen ruhiger werden, seltener Wutausbrüche zeigen und sich sogar besser auf Hausaufgaben fokussieren können. Große, randomisierte Kontrollstudien fehlen derzeit leider noch, sodass wissenschaftlich gesicherte Aussagen rar sind. Trotzdem legen die bisherigen Erkenntnisse nahe, dass Osteopathie bei einem Teil der Kinder positive Effekte zeigt. Da es praktisch keine Nebenwirkungen gibt, gilt sie als risikoarme Ergänzung zu etablierten Therapien.

Sorgfältige Wahl der Osteopathin oder des Osteopathen

Weil „Osteopath“ in Deutschland keine geschützte Berufsbezeichnung ist, sollten Eltern bei der Wahl ihrer Praxis genau hinschauen. Osteopathische Berufsverbände helfen bei der Suche nach qualifizierten Therapeuten. Eine Zusatzqualifikation in Kinderosteopathie ist ratsam, weil der Körper von Kindern andere Anforderungen stellt als der eines Erwachsenen. Gerade bei ADHS ist Geduld gefragt: Einfühlsame, erfahrene Therapeuten können stressige Situationen für zappelige Kinder freundlich gestalten.

Grenzen der Methode

So hilfreich Osteopathie in vielen Fällen sein kann, darf man sie nicht als Wundermittel ansehen. Bei stark genetisch geprägtem ADHS oder schweren Komorbiditäten (z. B. Autismus-Spektrum-Störungen) reicht eine manuelle Therapie allein nicht aus. Auch kann es sein, dass Kinder trotz osteopathischer Unterstützung weiterhin Medikamente benötigen. Die Zusammenarbeit mit Ärzten, Psychologen und Pädagogen ist wichtig.

Fazit: Eine sanfte Möglichkeit, Kindern mit ADHS zu helfen

Osteopathie kann ein wertvoller Baustein in der ADHS-Behandlung sein, weil sie an körperlichen Spannungen ansetzt und das Nervensystem indirekt entlastet. Eltern und Kinder berichten von mehr Gelassenheit, besserem Schlaf und reduzierter Impulsivität. Auch wenn wissenschaftliche Großstudien noch ausstehen, zeigt die Praxis, dass viele Kinder profitieren können. Eine seriöse, kinderfreundliche Osteopathie-Praxis, eingebettet in ein ganzheitliches Konzept aus Verhaltenstherapie, Elterntraining und schulischer Unterstützung, kann helfen, den Alltag stressfreier zu gestalten.

Wer mit dem Gedanken spielt, sein ADHS-Kind osteopathisch behandeln zu lassen, sollte darauf achten, dass die Therapeutin oder der Therapeut ausreichend Erfahrung hat. Geduld und Offenheit für neue Wege sind ebenso wichtig – schließlich reagiert jedes Kind anders auf manuelle Techniken. Gelingt es aber, den Körper von unnötiger Spannung zu befreien, kann dies eine enorme Erleichterung für Kinder und Eltern sein.

Sascha Bade
Osteopath