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Wofür wir die Muskulatur brauchen und was sie leistet

Muskelspiele

Die Muskeln sind die „Beweger“ des Körpers – und dies gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sorgen sie durch ihr Wechselspiel von Kontraktion und Dehnung dafür, dass wir gehen, laufen, gerade stehen, sitzen und kauen können. Zum anderen ist die Muskulatur unser größtes Stoffwechselorgan: Die Muskeln verbrennen Fett, produzieren Wärme und setzen Botenstoffe frei, die vor Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs schützen.

Muskeln sind schön. Fragt man Frauen und Männer, was sie am anderen Geschlecht sexy finden, wird ein gut gebauter, durchtrainierter, sportlicher und muskulöser Körper mit am häufigsten genannt. Warum ist das so? Ein straffer Körper signalisiert Gesundheit, Leistungskraft, Stärke, Disziplin – und nicht zuletzt gute Gene. Sehr alte Muster beeinflussen das Schönheitsempfinden, denn ein gut gebauter Körper wird instinktiv mit Fruchtbarkeit und gesunden Kindern in Verbindung gebracht. Gilt heute die schlanke Taille bei Frauen und bei Männern der Waschbrettbauch als Schönheitsideal, so sieht die Realität doch anders aus: 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen in Deutschland sind übergewichtig. 45 Prozent der Erwachsenen treiben überhaupt keinen Sport, nur jeder Achte erreicht die derzeitigen Empfehlungen für ausreichende körperliche Aktivität.

Diese große Diskrepanz zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit ist nicht nur erstaunlich, sondern im Hinblick auf die Volksgesundheit auch Besorgnis erregend. Muskeln sind ja nicht bloß ein Schönheitsaccessoire, das uns die Natur mitgegeben hat, um gut auszusehen. Die Muskulatur ist ein Organsystem, das viele lebensnotwendige Aufgaben erfüllt und ständig in Betrieb gehalten werden muss, um diese Aufgaben auch erfüllen zu können. 656 Muskeln sorgen dafür, dass wir sitzen, stehen, gehen, rennen, greifen, tragen, heben oder kauen können. Sie geben dem Körper eine Spannung, ohne die wir uns nicht gerade aufrichten könnten.

Zugleich wird in den Muskeln Energie umgesetzt. Selbst wenn wir uns gar nicht bewegen, wird durch den Muskeltonus – die Grundspannung der Muskulatur – schon ein Viertel des Energieumsatzes des Körpers erreicht. Dieser Energieumsatz produziert Wärme. Die Muskulatur ist somit die Heizung des Körpers. Neue Forschungen zeigen, dass die Muskeln auch hormonähnliche Botenstoffe, die so genannten Myokine, abgeben, die wichtige Funktionen im Stoffwechsel haben und den Körper gesund halten. Dazu müssen die Muskeln aber bewegt werden.

Der Aufbau des Muskels

Bei einer Bewegung spielen immer mindestens zwei Muskeln als Agonist und Antagonist zusammen. Beugen wir z. B. den Arm, dann spannt sich im Oberarm der Beuger (Bizeps), während sich der Strecker (Trizeps) entspannt und dehnt. Strecken wir den Arm dann wieder, wird der Strecker aktiv, während sich der Beuger entspannt. Bei der Ausführung von Bewegungen oder auch beim Aufrechterhalten einer Grundspannung arbeiten zumeist jedoch mehrere Muskeln als Muskelgruppen zusammen. Sie werden als Synergisten bezeichnet. Ein ständiges Wechselspiel beziehungsweise Zusammenwirken von Agonisten, Antagonisten und Synergisten bewirkt den harmonischen Ablauf der Bewegung. Muskeln, die Extremitäten an den Körper heranziehen, heißen Adduktoren (Hinführen, ihre Antagonisten, die Abduktoren (Wegführen), sorgen dafür, dass die Extremitäten vom Körper abgespreizt werden.

Den Aufbau eines Muskels kann man mit einem Tau vergleichen, das aus vielen Einzelsträngen besteht. Die innerste Einheit ist die Muskelfaser, die bis zu 15 Zentimeter lang sein kann. Sie wird von einer Hülle aus Bindegewebe, dem Endomysium, umgeben. Mehrere Muskelfasern bilden zusammen ein Muskelfaserbündel, das wiederum von starkem Bindegewebe umschlossen ist, dem Perimysium. Der Muskel ist aus vielen Muskelfaserbündeln aufgebaut, die vom Epimysium umhüllt werden. Das ganze Paket ist nochmals in eine zähe Bindegewebshülle eingepackt: die Faszie. An den Enden des Muskels geht die Faszie in die Sehne über, die den Muskel mit dem Knochen fest verbindet.

Wie aber funktioniert das Zusammenziehen – die Kontraktion – des Muskels? Dazu muss man den Feinaufbau der Muskelfaser betrachten. Schneidet man eine Muskelfaser auf, bemerkt man, dass sie von ultrafeinen, nur 1 Mikrometer starken Fädchen, den Myofibrillen, durchzogen ist. In der Längsachse sind diese Myofibrillen quergestreift. In noch stärkerer Vergrößerung würde man erkennen, dass die Myofibrillen in Kammern aufgeteilt sind, die so genannten Sarkomere. Das Sarkomer ist die kleinste funktionelle Einheit der Muskelfaser, in ihr vollzieht sich die Kontraktionsbewegung. Jedes Sarkomer besteht nämlich aus zwei unterschiedlichen Typen fadenförmiger Proteine, die parallel zueinander versetzt sind: den Myofilamenten. Diese beiden Typen, das Aktin-Filament und das Myosin-Filament, berühren sich nicht direkt, können sich aber über feine Köpfchen miteinander verbinden. Bei der Kontraktion werden die in der Mitte getrennten Teile des Aktin-Filaments durch das Myosin-Filament zusammengeschoben. Dadurch verkürzt sich das einzelne Sarkomer und mit diesem alle Myofibrillen einer Muskelfaser. Durch diese Verkürzung, die sich in allen Muskelfasern zugleich vollzieht, kommt die Muskelkontraktion zustande.

Ausgelöst wird die Muskelkontraktion durch eine elektrochemische Reaktion. Jeder Muskel ist von Nerven durchdrungen, die sich in feinste Verästelungen auffächern. Ein Befehl vom Gehirn oder Rückenmark löst ein elektrochemisches Signal an den Nervenendigungen (Synapsen) aus und stimuliert die Muskelzellen zum Zusammenziehen.

Die Muskeln als Stoffwechselorgan

Bewegung gibt es natürlich nicht zum Nulltarif, sondern sie kostet Energie. Den nötigen Treibstoff liefert die Ernährung. So wie ein Motor wandelt die Muskulatur diese Treibstoffenergie durch die Verbrennung in kinetische Energie (Bewegung) und Wärmeenergie um. Angeliefert wird die Energie über die Blutbahnen. Winzige Äderchen durchziehen das Bindegewebe der Muskulatur und transportieren Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß sowie Sauerstoff als notwendigen Verbrennungshelfer. Da die Nährstoffe chemisch gebunden sind, können sie nicht direkt verwertet werden. Erst der Verbrennungsprozess schließt ihre Energie auf. Die Verbrennung und damit der Energiestoffwechsel findet in speziellen Zellorganellen, den Mitochondrien, statt. Diese „Kraftwerke“ der Zelle wandeln über die Atmungskette die Nährstoffenergie in das Molekül Adenosintriphosphat (ATP) um, das den Myofibrillen in der Muskelfaser als Energiespender zur Verfügung steht.

Interessant ist, dass durch körperliches Training die Zahl der Myofibrillen zunimmt, der Muskel also dicker und kräftiger wird. Zugleich vermehren sich die Mitochondrien, die damit auch mehr ATP zur Verbrennung zur Verfügung stellen können. Das heißt also: Gut entwickelte Muskeln verbrennen mehr Energie. Was aber passiert nun, wenn wir zwar viel essen, aber uns wenig bewegen und dadurch wenig Energie verbrauchen? Zum einen bilden sich die Muskeln zurück und drosseln damit ihren Energieumsatz. Zum anderen muss der Körper Wege finden, die Energie anderweitig zu verarbeiten. Energie löst sich nicht einfach in Luft auf. Letztlich gibt es für ihn keinen anderen Weg, als den Energieüberschuss im Bindegewebe als Depotfett zu speichern. Eigentlich gedacht als „Reservekanister“ des Körpers für Zeiten des Nahrungsmangels, wird das Fettgewebe bei Überernährung zum großen Energie-Tanklager. Das hat sehr negative Konsequenzen für den gesamten Organismus.

Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und selbst Krebs stehen in Zusammenhang mit Bewegungsmangel und Fettleibigkeit. An diesen Krankheiten beteiligt sind Botenstoffe, die im Bauchfett produziert werden. Diese rufen chronische Entzündungen hervor, fördern unter anderem die Entstehung von Arteriosklerose und setzen die Wirkung von Insulin herab. Aber auch das Muskelgewebe setzt Botenstoffe frei, und diese haben genau die entgegengesetzte Wirkung. Eine Vielzahl von so genannten Myokinen wird bei Bewegung gebildet. Sie optimieren den Stoffwechsel und helfen aktiv dabei, Speicherfett wieder in verwertbare Energie zu transformieren. Doch nicht nur der Fettverbrennung sind diese Myokine dienlich, sie wirken auf die unterschiedlichsten Organe und Vorgänge im Körper. So wird beispielsweise die Immunabwehr gesteigert, die Bekämpfung von Tumorzellen verbessert, der Insulinstoffwechsel reguliert und auch das Nervensystem leistungsfähiger gemacht. Die durch Bewegung gebildeten Myokine sind also nicht zu unterschätzende Gesundheitshelfer.

In die Tiefe gehen

Sich viel zu bewegen und die Muskeln zu kräftigen, macht nicht nur schöner, sondern bringt gesundheitlich eine Menge. Krankheiten lassen sich vermeiden und Alterungsprozesse verlangsamen. Muskulösen Menschen winkt als angenehmer Nebeneffekt, dass sie lustvoll schlemmen dürfen, ohne sich über die Figur Sorgen machen zu müssen. Selbst im „Leerlauf“ verbrennen die Muskelpakete nämlich eine Menge Kalorien. Bloß wollen die sportlich Aktiven oft gar nicht so viel essen, weil hormonelle Botenstoffe wie z.B. Leptin bei ihnen als Appetitzügler wirken.

Wer Muskeln aufbauen will, sollte sich allerdings nicht unbedingt Arnold Schwarzenegger zum Vorbild nehmen. Nicht wenige Bodybuilder oder Gewichtheber haben mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Was sie falsch machen, ist eine mangelnde Beachtung der Tiefenmuskulatur. Diese Muskelschichten arbeiten im Verborgenen und stabilisieren wie ein Korsett die Wirbelsäule, den Bauch und den Beckenboden. Willentlich anspannen kann man diese Muskeln nicht, sondern sie werden eher über Reflexe aktiviert. Aber man kann sie durch Gleichgewichtsübungen, Pilates und Yoga trainieren. Vielleicht mag es manchen Kraftmaxen Überwindung kosten, sich zu den Mädels auf die Yogamatte zu setzen, seiner Männlichkeit tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil: Ein starker Beckenboden stärkt auch die „Manneskraft“.