Kleine Muskelkunde
Welche Muskeln der Mensch hat und wofür er sie braucht
Glatt oder quergestreift – und was der Wille damit zu tun hat
Die quergestreifte Muskulatur zeigt unter dem Lichtmikroskop ein sich periodisch wiederholendes Muster von Querstreifen im Gewebe der Muskelfasern. Woher kommen diese Streifen? Sie verweisen auf den regelmäßigen Aufbau der Muskelfasern aus den kleinsten Funktionseinheiten, den Sarkomeren. Das Sarkomer besteht aus parallel verlaufenden und sich teilweise überlappenden Proteinfäden, den Aktin- und Myosinfilamenten. Sie sorgen für die Kontraktion des Muskels, indem sie sich zusammenschieben. Aktin- und Myosinfilamente haben eine unterschiedliche Lichtbrechung. Vor allem in den Bereichen, in denen sich die beiden Filamente überlappen, ist die Lichtbrechung besonders stark, sodass das charakteristische Streifenmuster entsteht.
Zu den quergestreiften Muskeln gehören zwei recht unterschiedliche Muskeltypen: die Skelettmuskulatur und der Herzmuskel. Die Skelettmuskeln sind die willkürlich steuerbaren Teile der Muskulatur. Zu ihnen gehören beispielsweise die Muskeln der Arme und Beine, die Muskeln der Hände, Finger, Zehen und Sprunggelenke, Kopf- und Halsmuskeln wie die mimische Muskulatur und die Kaumuskeln, aber auch die Bauch- und Rückenmuskulatur. Die Skelettmuskeln sind aber nicht nur für die aktive Körperbewegung zuständig. Sie haben auch einen Einfluss auf das Wohlbefinden, indem sie Botenstoffe – die Myokine – ausschütten, die unter anderem das Immunsystem, den Fettstoffwechsel und die Entstehung von Diabetes mellitus beeinflussen.
Die Herzmuskulatur hat mit der Skelettmuskulatur den regelmäßigen Aufbau aus quergestreiften Muskelfasern gemeinsam, ist aber nicht willkürlich steuerbar. Als Schrittmacher des Herzens dient der Sinusknoten, der über elektrische Impulse den Muskel zur Kontraktion bringt.
Die glatte Muskulatur ist nicht der bewussten Kontrolle unterworfen, sondern wird über das vegetative Nervensystem sowie Hormone gesteuert. Glatte Muskulatur findet sich vornehmlich in den Wänden der Hohlorgane wie Speiseröhre, Magen und Darm, in den Blut- und Lymphgefäßen, aber auch in der Haut. Glatte Muskelfasern sind anders aufgebaut als die quergestreiften der Skelettmuskulatur, die Filamente sind zu Bündeln gruppiert und an „Verdichtungszonen“ sowie an der Zellwand befestigt. Im Vergleich zur quergestreiften Muskulatur kontrahiert sich die glatte Muskulatur viel langsamer, aber dafür erheblich stärker. Die glatte Muskulatur kann sich lange ohne großen Energieaufwand kontrahieren und ermüdet auch nicht. Über die Bewegungen der glatten Muskulatur kommt beispielsweise die Darmperistaltik zustande, die den Nahrungsbrei vorantreibt.
Ein Gang durch die Anatomie
Die Skelettmuskulatur – Beuger, Strecker, Adduktoren und Abduktoren
Um eine Bewegung ausführen zu können, ist immer das Zusammenspiel gegensätzlich wirkender Muskeln notwendig. Wird etwa der Arm gebeugt, um einen Gegenstand zu heben, dann wird der Beugermuskel des Oberarms (Bizeps) aktiv verkürzt. Zugleich wird dadurch der Strecker (Trizeps) passiv gedehnt. Wenn umgekehrt beim Ausstrecken des Arms der Strecker aktiv verkürzt wird, wird der Beuger passiv gedehnt. Das Gegenspielerprinzip von agonistischen und antagonistischen Muskeln heißt aber nicht, dass der gegenteilige Muskel „erschlafft“, während der andere sich „anspannt“, denn eine durch die Nerven hervorgerufene Grundspannung, ein „Muskeltonus“, besteht auch in der passiven Dehnung fort, um die anatomische Stabilität zu gewährleisten.
Bei Bewegungen sind in der Regel aber nicht nur zwei Muskeln als Agonist und Antagonist beteiligt, sondern ganze Muskelgruppen. So gibt es zusätzlich Synergisten, die die Bewegung eines Agonisten unterstützen, verstärken oder gar erst ermöglichen. Die Kraftentfaltung beim Liegestütz kommt nicht nur über den Trizeps zustande, sondern auch über die synergistisch wirkendenden Brustmuskeln. Auch wäre das Heben des Beins beim Gehen gar nicht möglich ohne die Bauchmuskeln als Synergisten. Diese fixieren das Becken, damit es bei einer Kontraktion des Beinhebers nicht nach vorne kippt.
Der stärkste Muskel
… ist der Kaumuskel (Musculus masseter). Die Beißkraft ist auch nötig, um harte Nahrungsmittel zerkleinern zu können. Allerdings ist der Kaumuskel beim heutigen Menschen eher schwach ausgeprägt. Einer seiner Vorfahren, der Paranthropus, konnte mit seinen Kiefern noch Nüsse knacken.
Hohlmuskeln – Herz, Speiseröhre, Magen und Darm
Im Gegensatz zu den Skelettmuskeln sind die Hohlmuskeln essenzielle Bestandteile wichtiger innerer Organe. Da sie den Ablauf lebensentscheidender Funktionen im Organismus gewährleisten, ist ihre Tätigkeit weitgehend der bewussten, willkürlichen Steuerung entzogen. So wird das Herz als typischer Hohlmuskel durch einen elektrischen Taktgeber, den Sinusknoten, angetrieben, der durch das selbsttätig arbeitende vegetative Nervensystem und durch Hormone beeinflusst wird. Über das nervliche Erregungsleitungssystem wird die rhythmische Kontraktion des Herzens ausgelöst und so das Blut durch den Körper gepumpt.
Im Unterschied zum Herzen, das im Ganzen gesehen ein Muskel ist, sind Speiseröhre, Magen und Darm Hohlorgane aus Muskelgewebe, die innen mit einer Schleimhaut ausgekleidet sind. Die muskuläre Tätigkeit ist nur ein Teil ihres Aufgabengebiets. In erster Linie ermöglichen die Organe durch die chemische Aufspaltung der Nahrung mithilfe von Verdauungsenzymen den Stoffwechsel und die Energiegewinnung. Unterschiedliche Stationen der Verarbeitung im Verdauungstrakt bedingen, dass die Nahrung durch Muskelkontraktionen (Peristaltik) weiterbefördert werden muss. Dabei handelt es sich um ringförmig einschnürende Kontraktionen der glatten Muskulatur, die sich in eine Richtung fortsetzen. Beeinflusst wird die Peristaltik durch das Wirken des vegetativen Nervensystems (Förderung durch den Parasympathikus / Hemmung durch den Sympathikus) sowie durch Hormone wie Acetylcholin, Serotonin, Histamin oder Gastrin. Eine Besonderheit der Speiseröhre ist, dass in ihrem oberen Drittel die Muskelschicht von quergestreifter Muskulatur gebildet wird. Nur in ihrem unteren Drittel finden sich glatte Muskelzellen.
Der Muskel und sein Kater
Der sogenannte Muskelkater infolge Überlastung entsteht durch mikrofeine Risse in den Z-Streifen des Muskelgewebes. Diese bilden die äußeren Begrenzungen der Sarkomere, also der kleinsten Einheiten innerhalb der Muskelfaser. Die Entzündungen, die durch die Risse entstehen, führen durch das Eindringen von Wasser zur Bildung von Ödemen. Durch die Schwellung und ausgeschüttete Entzündungsstoffe kommt es zeitverzögert zum Schmerz.
Ein Abklingen des Muskelkaters kann man am besten durch Wärme unterstützen. Ein warmes Bad, der Gang in die Sauna oder eine Fangopackung lindern den Schmerz und tragen zu einer schnelleren Genesung bei, da das Gewebe besser durchblutet wird.
Ringmuskeln – Von Schließmuskeln und Ziliarmuskeln
Überall da, wo Verschlüsse im Körper notwendig sind, werden Ringmuskeln aktiv. Der ringförmige Muskel verhindert durch seine Kontraktion ein Vorwärts- oder Zurückfließen. Der bekannteste Schließmuskel ist der After.
Die Speiseröhre hat gleich drei Engstellen, aber nur der obere Ösophagusmund ist ein echter Schließmuskel. Er verhindert das Verschlucken von Luft (Aerophagie) beim Atmen und das Eindringen von Mageninhalt in die Luftröhre.
Der Magenpförtner (Pylorus) ist der Schließmuskel am Magenausgang. Er reguliert den Weitertransport des Nahrungsbreis vom Magen in den Darm. In der „Vaterschen Papille“ befindet sich ein Schließmuskel, der die Entleerung der Galle aus dem Gallengang und des Sekrets der Bauchspeicheldrüse in den Zwölffingerdarm steuert. Die Ileozäkalklappe dient als Schließmuskel am Übergang vom Dünndarm in den Dickdarm. Der Harnröhrenmuskel (Musculus urethralis) ist in Ruhe verschlossen, sein Erschlaffen ermöglicht die Blasenentleerung.
Der kleinste Muskel
… ist der Steigbügelmuskel (Musculus stapedius). Er gehört zu den Muskeln des Mittelohrs und bremst die Schwingungen des Steigbügel-Knöchelchens – ein Schutz vor zu hohen Schallpegeln.
Aber auch im Auge gibt es ringförmige Muskeln. Sie dienen der Regulation des Lichteinfalls und der Entfernungsakkomodation. Der Musculus sphincter pupillae hat die Funktion, die Pupillen zu verengen und so an den Lichteinfall anzupassen. Sein Gegenspieler ist der Musculus dilatator pupillae, der die Pupille weitet. Der Ziliarmuskel steuert die Form der Augenlinse. Die Linse ist über Bänder am Ziliarmuskel befestigt. Durch die Entspannung des Ziliarmuskels wird die Linse in die Länge gezogen, dadurch kann man gut in die Ferne sehen. Wenn sich der Ziliarmuskel anspannt, staucht sich die Linse, wodurch die Nahsicht zustande kommt.
Mehrbäuchige Muskeln – Waschbrett- oder Waschbärbauch
Der „Waschbrettbauch“ ist das Ideal aller sportlich aktiven Menschen. Er bildet die Ausprägung der Bauchmuskulatur ab, ohne von störendem Fettgewebe verdeckt zu sein. Anatomisch gesehen ist der Waschbrettbauch das Relief des Musculus rectus abdominis (Gerader Bauchmuskel) unter der Haut. Vertikal werden die beiden Muskelbahnen links und rechts des Nabels durch die Linea alba, eine Bindegewebsnaht, geteilt. Zwei oder drei horizontale Einschnitte entstehen durch Zwischensehnen. So kommt der Eindruck mehrfacher Wölbungen – das legendäre „Sixpack“ – zustande.
Weitere Muskelformen: spindelförmig oder gefiedert
Je nach ihren Aufgaben sind die Muskeln unterschiedlich geformt. Ausladende und schnelle Bewegungen erfordern einen spindelförmigen Muskeltyp. Die Fasern verlaufen hier parallel zur Längsachse des Muskels. Der spindelförmige Typ hat einen großen Bewegungsumfang und kann sich stark verkürzen. Beispiele sind der Bizeps und Trizeps des Oberarms.
Der größte Muskel
Der flächenmäßig größte Muskel des Menschen ist der Große Rückenmuskel (Musculus latissimus dorsi), der dem Volumen nach größte Muskel ist allerdings der Musculus gluteus maximus (größter Gesäßmuskel).
Bei gefiederten Muskeln verlaufen die Muskelfasern im schrägen Winkel zur Ansatzsehne, wodurch bei gleicher Muskeldicke eine größere Anzahl an Muskelfasern an der Sehne ansetzen kann und die Hubkraft bei geringem Bewegungsumfang stärker ist. SBeispiele sind der Musculus vastus medialis (der „innere Schenkelmuskel“) oder der Musculus quadriceps femoris (der „vierköpfige Oberschenkelstrecker“). Muskeln können mehrere Köpfe und damit Ansatzpunkte am Skelett haben.
Oberflächen- und Tiefenmuskulatur
Eine gute Haltung und Körperbalance wird erst durch die Tiefenmuskulatur ermöglicht. Dabei handelt es sich um tiefer liegende Rumpfmuskeln wie die „Rückenstrecker“, die seitlichen und hinteren Bauchwandmuskeln oder die Muskulatur des Beckens. Sie stabilisieren wie ein inneres Korsett den Körper und unterstützen zudem als Synergisten das Zusammenspiel der Muskeln. Sie werden auch reflexartig aktiv, wenn man das Gleichgewicht verliert und zu stürzen droht.